Am Ende der Neunzigerjahre brüllte der niederländische Bäckermeister Emile Ratelband Menschen einen Satz ins Ohr und motivierte sie damit scheinbar mühelos: „Tsjakkaa, du schaffst es!“ Andere Motivationsgurus lassen Menschen über glühende Kohlen laufen, den Tiger streicheln oder versetzen sie in Hypnose. Dass diese Art der Motivation zum Scheitern verurteilt ist, verraten die Gurus jedoch nicht. Wer wissen will, was wirklich motiviert, sollte nicht zu einer Massenveranstaltung gehen, sondern Sozial-psychologen und Neurologen befragen. Hier die Quintessenz für Ungeduldige.

Jens Kegel

Von außen und innen

Motivationsgurus lassen die Menschen glauben, Motivation komme von außen. Das ist heute ganz klar widerlegt. Die so genannte extrinsische Motivation ist meist vom Individuum abgekoppelt und wirkt darum, wenn überhaupt, nur sehr kurzfristig. Der andere will etwas, er hat die Macht, er steht in der Hierarchie weiter oben als ich. Also werde ich das Gewünschte tun. Wir alle wissen, dass Menschen hier handeln, weil sie Zwängen unterworfen sind: muss ja, nützt ja nichts.

Die andere grundlegende Form der Motivation hört auf den Vornamen intrinsisch. Menschen, die eine Aufgabe um der Aufgabe willen erledigen, die um der Arbeit willen arbeiten, sind intrinsisch motiviert. Sie tun etwas nicht wegen des zu erwartenden Lohns, sondern weil die Tätigkeit ihren ganz individuellen Intentionen, Fähigkeiten, Anlagen, Zielen entspricht. Und hier beginnt meist das Drama. Wer einen intrinsisch Motivierten beobachtet, sollte ihn möglichst in Ruhe lassen. Das Maximum: Sorgen Sie dafür, dass der so Motivierte alles vorfindet, um sich weiterhin in seine Arbeit zu vertiefen. Gutmeinende glauben jedoch, wenn sie jetzt von außen noch motivieren, schalten sie beim anderen den Turbo an. Das Gegenteil geschieht: Extrinsische Motivation durch Prämien, Urlaubstage, sonstige Vergünstigungen wirken wie Wasser im Benzin: Der Motor kommt ins Stocken, leistet weniger und bleibt bald lustlos stehen.
Um andere individuell zu motivieren, müssen wir zuerst herausfinden, was den Einzelnen antreibt. In Gruppen finden wir nun drei mögliche Motive: Leistung, Macht, Anschluss.

Das Leistungsmotiv

Psychologen unterscheiden zwei Typen von Menschen, die leistungsmotiviert sind. Der erste Typ ist erfolgsmotiviert. Der andere hingegen versucht, Misserfolge zu vermeiden. Erfolgsmotivierte möchten ihre Leistungen verbessern und bevorzugen mittelschwere Aufgaben. Mittelschwer darum, weil sie genau wissen, dass sie diese mit Fleiß, Übung und Ausdauer auch bewältigen können.
Misserfolgsmotivierte hingegen meiden Leistungssituationen (das schaffe ich sowieso nicht), sie schieben die Ursachen für ihre Misserfolge auf äußere Situationen. Kurioserweise suchen sie ganz leichte Aufgaben, die sie auf alle Fälle erledigen können, oder viel zu schwere. Damit aber werden sie nie das erhalten, was Erfolgsmotivierte am Ende spüren: ein tiefes Gefühl der Befriedigung über das Erreichte. Misserfolgsorientierte Menschen geraten in einen fatalen Kreislauf. Sie vermeiden Leistungssituationen, welche sie herausfordern könnten. Weil sie falsche Aufgaben wählen, scheitern sie oder machen keine positiven Erfahrungen. Indem sie die Gründe nach außen verschieben, werden sie unzufriedener und verfestigen ihr nicht gerade positives Selbstbild. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, hilft, ihnen in kleinen Schritten anspruchsvollere Aufgaben zu stellen, damit sie Erfolgserlebnisse empfinden und genießen können. Diese wiederum dienen anschließend dazu, sich auch an die anderen Aufgaben zu wagen, die wieder ein kleines Stück schwerer sind als die vorangegangenen.

Das Machtmotiv

Das Machtmotiv findet sich vor allem bei Männern, was an unserer evolutionären Entwicklung liegt. Machtmotivierte interessieren sich in erster Linie nicht für eine Aufgabe, sondern für Positionen und Hierarchien. Sie möchten ganz nach oben, die einflussreichste Stelle einnehmen, Kontrolle über andere Menschen ausüben. Wenn sie in Gruppensituationen Beiträge liefern, dann geht es ihnen oft vordergründig nicht um den Inhalt. Sie wollen damit die anderen in ihrem eigenen Sinne beeinflussen. Wenn Machtmotivierte hingegen ihre eigene Meinung, ihre eigenen Ziele nicht durchdrücken können, empfinden sie das als Niederlage oder Demütigung und ziehen sich schmollend zurück. Nun haben verschiedene Untersuchungen an Primaten und Menschen gezeigt, dass ein starkes Machtmotiv immer Stress mit sich bringt, der auf Dauer ungesund ist. Machtmotivierte schlafen nicht nur unruhiger, in ihrem Blut kreisen auch häufig mehr Stresshormone, die der Körper bei Gefahr oder in einer Verteidigungssituation ausschüttet. Die berühmten Manager-Krankheiten sind also oft nicht auf Überforderung oder zu viel Arbeit zurückzuführen, sie basieren häufig auf den ungesunden Folgen nicht abgebauter Stresshormone.

Machtmotivierte brauchen Aufgaben, die ihren Status festigen. Der Erfolg sollte vor allem von ihrer Person bzw. Position abhängen und natürlich auch so kommuniziert werden. Leistungen sind nicht in erster Linie aufgrund der fachlichen Kompetenzen zu fordern, sondern aufgrund der Stellung im Machtgefüge. Für Rückmeldungen gilt parallel: Lob und Anerkennung beziehen sich auf die Position, auf die Stellung in der Organisation.

Das Anschlussmotiv

Es findet sich naturgemäß häufiger bei Frauen als bei Männern. Anschlussmotivierte suchen gezielt die Geborgenheit in der Gruppe. Ihnen geht es vor allem um Harmonie und das Gefühl, unterstützt zu werden. Wenn Meinungsverschiedenheiten auftauchen, dann konzentrieren sie sich weniger auf den Inhalt als darauf, den Frieden wiederherzustellen.

Sie sind zu motivieren, indem ihnen Aufgaben gestellt werden, welche vornehmlich die Gruppe als Ganzes festigen und von dieser auch erledigt werden. Der Erfolg wiederum muss einerseits vom Team als Ganzes abhängen und dieses auch als Gesamtheit stärken. Für Anschlussmotivierte sollte man Leistungen mit Gruppenzwängen begründen (einer allein kann das gar nicht schaffen) und Aufgaben stellen, welche von allen anerkannt werden.

Das höchste der Gefühle

Der aus Ungarn stammende Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat auf einen Zustand hingewiesen, den wir alle kennen – Flow. Menschen sind ganz und gar bei der Sache, gehen in einer Tätigkeit auf, vergessen, was um sie herum passiert. Besonders ein Begriff wird von Menschen, die Flow erleben, immer wieder genannt: Befriedigung. Hier liegt der Schlüssel für Motivation, die ein ganzes Arbeitsleben hält. Der Arbeitende muss eine Tätigkeit ausüben, die ihn befriedigt, ausfüllt, in der er einen Sinn sieht. Untersuchungen haben gezeigt, dass jede Arbeit potenziell dazu in der Lage ist, Flow zu generieren, sie muss nur zum Individuum passen.

Csikszentmihalyi nennt Personen, die geradezu prädestiniert sind für Flow, autotelisch, also selbstzweckhaft bzw. unabhängig. Sie führen Tätigkeiten ausschließlich um ihrer selbst willen durch und nicht, weil ihnen von außen ein Ziel vorgegeben wurde. Autotelische Personen sind in der Lage, alle anderen Aktivitäten aus der Peripherie herunterzufahren, um sich ausschließlich auf die eine zu konzentrieren. Sie verwandeln objektiv schlechte Erfahrungen in subjektiv kontrollierbare. Sie fokussieren nicht mehr auf sich selbst als Person, sondern verlagern die Aufmerksamkeit zu den Objekten, mit denen sie sich beschäftigen, mit denen sie ihre ganz eigenen Ziele realisieren wollen.

Andere motivieren

Nach dem bisher Gesagten ist klar, dass diese Überschrift nicht ganz richtig ist, denn motivieren können Menschen nur sich selbst. Weil aber viele dazu nicht in der Lage sind, bedürfen sie eines Anstoßes von außen, damit die Selbstmotivation mit all ihren Vorteilen wirksam werden kann. Die besten Resultate erbringen Menschen, wenn sie sich ihre Arbeit und damit auch ihre Ziele selbst aussuchen dürfen.
Wenn Führungskräfte gemeinsam die Ziele mit den Mitarbeitern festlegen, fühlen sich diese stärker daran gebunden. Bei solchen Gesprächen kann man zwei wirksame psychologische Phänomene einsetzen. Das erste heißt Commitment und meint die Bindung an etwas, was jemand selbst gesagt hat. Wer einen Standpunkt einnimmt, sich auf etwas festlegt, sich zu etwas bekennt, wird auch eine Menge Energie daran setzen, dies umzusetzen. Die Ursache für dieses Verhalten liegt tief im Wesen des Menschen verborgen. Wir wollen einfach konsistent erscheinen und auch so handeln. Damit das Prinzip wirksam wird und sich zugleich positiv auf das Selbstbild der entsprechenden Person auswirkt, sollten die Aussagen freiwillig herbeigeführt werden, möglichst offen genannt oder schriftlich niedergelegt sein. Zugleich sollte es nicht ganz einfach sein, die Ziele zu verwirklichen, welche die Person festgelegt hat. Der Führungskraft kommt bei diesem Prozess die Aufgabe zu, Impulse zu liefern, Anstöße zu geben, den Ehrgeiz des anderen zu kitzeln, Fragen zu stellen.

Ein anderes Phänomen, welches sich hier einsetzen lässt, ist der Anker-Effekt. Dieser kann sich auf zu produzierende Stückzahlen, auf abgeschlossene Projekte, auf einen Zeitrahmen beziehen. Wenn der andere den gesetzten Anker als zu hoch empfindet und die Führungskraft nach unten verhandelt, hat diese ihr eigentliches Ziel erreicht. Nun sind Ziele nicht gleich Ziele. Sie sollten gemeinsam erarbeitet, klar zu messen und vor allem exakt formuliert sein. Am Ende des Ziel-Gesprächs sind sie schriftlich festzuhalten, das Dokument ist von beiden Seiten zu unterzeichnen. Das hat einen Vorteil. Mit Unterzeichnung werden die Ziele von beiden Seiten aufgewertet, sie bekommen den Status eines wichtigen Dokuments.

Verantwortungsvoll einbinden

Um den Energiefluss in die richtigen Bahnen zu lenken, müssen Mitarbeiter in alle nur möglichen Phasen des Arbeitsprozesses eingebunden werden. Sie sollen so viel wie möglich selbst entscheiden können, Ziele finden und Handlungsschritte festlegen. Wer jetzt entsetzt die Hände hebt und ein Chaos in der Organisation befürchtet, sollte sich die vielfältigen Potenzen vor Augen halten. Wenn sich Meier ein Ziel selbst gesetzt hat, wird er nicht an jedem Arbeitstag schon mittags auf die Uhr schielen, sondern die Zeit vielleicht vergessen.

Menschen, die spüren, dass man ihnen schrittweise mehr Verantwortung überträgt, arbeiten auch verantwortungsvoller. Dazu muss man ihnen natürlich mehr zumuten, sie (manchmal kleinschrittig) fordern und dabei auch das Risiko des Scheiterns in Kauf nehmen. Wenn Mitarbeiter größere Aufgabenbereiche übernehmen, ihre Arbeit frei planen, organisieren und kontrollieren können, gehen sie nicht nur verantwortungsbewusster mit Ressourcen, sondern auch mit ihren eigenen Kräften um. Damit aber noch nicht genug der Vorteile: Sie sind zufriedener, werden weniger häufig krank und verschieben allmählich ihre Energie von den Freizeitaktivitäten hin zu ihrem eigenen Job. All dies ist mehrfach nachgewiesen.

Warum diese Erkenntnisse auch heute noch viel zu wenig umgesetzt werden, hat verschiedene Gründe: Führungskräfte wissen nicht um diese Gesetzmäßigkeiten, sie haben Angst vor Autoritätsverlust oder machen einfach weiter wie bisher. Das Gegenteil aber ist richtig. Vorgesetzte steigen in der Achtung ihrer Mitarbeiter, wenn sie die Zügel locker lassen und Verantwortung abgeben.

Rückmeldungen geben

Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene brauchen sie. Das gilt besonders dann, wenn Tätigkeiten monoton, wenig kreativ und nach einem bestimmten Schema ablaufen, und trifft nicht etwa nur für die Arbeit in Fabriken zu. Personen, die vor allem darauf fokussieren, ein Ziel zu erreichen, benötigen positive Rückmeldungen über den Stand der Dinge. Personen, die vor allem Fehler vermeiden wollen, benötigen negative Rückmeldungen. Das ist kein Witz, sondern mehrfach erwiesen. Es ist also notwendig, vorher zu wissen, ob man es mit einem Menschen zu tun hat, der erfolgsorientiert oder misserfolgsorientiert ist. Bei Letzterem sollte man allerdings auch nie den Hinweis vergessen, dass nicht alle Kinder in den Brunnen gefallen sind, sondern das Ziel noch zu erreichen ist.
Bleibt die Frage, wann der Vorgesetzte eine Rückmeldung geben soll. Eingebürgert haben sich regelmäßige Mitarbeitergespräche, die protokolliert werden. Das hat Vorteile, denn was du schwarz auf weiß besitzt … Ein Nachteil regelmäßig erfolgender Rückmeldungen allerdings ist ihre Vorhersehbarkeit. Damit lässt sich ein Aspekt kaum mehr nutzen, der jedoch sehr wirkungsvoll eingesetzt werden kann – Emotion. Wenn Mitarbeiter eine positive oder negative Rückmeldung zu einem Zeitpunkt bekommen, den sie nicht erwarten, kann diese an positive und negative Emotionen gekoppelt werden.
Bei allen Rückmeldungen sind folgende Faktoren wichtig: Nicht der Mensch als solches, sondern seine Leistung wird bewertet. Vor einer negativen Bewertung muss etwas Positives genannt werden. Nachprüfbare Kriterien bilden die Basis, damit die Bewertung auf der Sachebene bleibt. Zugleich ist sie möglichst zeitnah nach dem Ereignis zu geben, nicht Tage später. Am Ende steht immer die Aussicht, dass und wie die Leistung verbessert werden kann.

Was zu vermeiden ist

Als Erstes Materielles. Ja, Geld wirkt als Motivator, aber nur kurzfristig. Mehr noch: Reizvolle Tätigkeiten, die jemand um ihrer selbst ausführt, verlieren durch Belohnung ihren Reiz. Hinzu tritt der Effekt der sogenannten Habituation. Wir alle gewöhnen uns schnell an den Istzustand und wollen mehr, obwohl der gegenwärtige unsere materiellen Bedürfnisse bereits mehr als ausreichend befriedigt. Dies ist immer wieder an Bankern und sogenannten Spitzenmanagern zu beobachten. Als Zweites sollten wir, wenn möglich, auf alle Formen extrinsischer, also von außen kommender (Schein-)Motivation verzichten, denn sie ist meist abgekoppelt von den Intentionen des Individuums. Wer nun einen Mitarbeiter richtig demotivieren will, der sucht sich im ersten Schritt jemanden aus, der bei seiner Arbeit Flow empfindet. Diesem zeige man dann Belohnungen von außen. Der Misserfolg wird nicht lange auf sich warten lassen.
Was bleibt als Summe? Menschen wollen einen Sinn in ihrer Arbeit sehen und entsprechend ihren individuellen Intentionen, Zielen, ihrer Motivstruktur eingesetzt werden. Sie möchten innerhalb ihres individualspezifischen Rahmens, entsprechend ihren individuellen Motiven und Fähigkeiten nicht gegängelt werden, sondern zunehmend selbst entscheiden. Sie wollen an der Zielfindung beteiligt werden, zunehmend autonom arbeiten und eine Sinn-volle Arbeit erledigen. Um herauszufinden, was der Einzelne will, wie er motiviert ist, welche (wirklichen) Ziele er hat, benötigt man Zeit. Wer sie aber investiert, hat am Ende weniger Arbeit mit dem Führen. Und kann sich über einen motivierten Mitarbeiter freuen, der nach dem Slogan des guten alten Ur-Käfers arbeitet: Er läuft und läuft und läuft.

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