Vom Personalwesen zum Human Ressources Management

Der Arbeitsmarkt in Deutschland hat sich zu einem Arbeitnehmermarkt entwickelt. Arbeitgeber müssen sich in erster Linie um potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen – nicht umgekehrt. Das Personalmanagement in Verbänden sollte infolgedessen die Rolle eines innovativen und strategischen Partners der Verbandsführung erhalten, ansonsten verlieren Verbände den Wettbewerb um die Mitarbeiter, die sie dringend benötigen.

Der Arbeitsmarkt in Deutschland entwickelt sich auf nicht absehbare Zeit weiter von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt. Dies erfahren auch Verbände in einer quantitativ wie qualitativ durchweg verminderten Resonanz auf Stellenausschreibungen – der „War for Talents“ wird spürbarer. Auf diese Knappheit an Personalressourcen beginnt der Markt bereits über den Preis zu reagieren, aber nicht alle Verbände werden hier mitbieten können.

Verbände besitzen zwar als Arbeitgeber nach wie vor eine hohe Anziehungskraft. Die Möglichkeit, an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mitgestalten zu können, wird als überaus spannende Aufgabe wahrgenommen. Sich auf dieser Erkenntnis weiterhin auszuruhen, ist jedoch fahrlässig. Den Wettbewerb um sehr gute Mitarbeiter strategisch anzunehmen, ist Voraussetzung dafür, dass Verbände ihre Attraktivität als Arbeitgeber zukünftig sicherstellen.

Dirk Günther

 

Komplexität und Unsicherheit bestimmen zunehmend die Arbeitswelt

Die Komplexität von Entscheidungszusammenhängen in der Arbeitswelt erhöht sich stetig. Die Regelungsbreite und -tiefe der vertretenen Inhalte nimmt ständig zu, die Digitalisierung der Arbeitswelt wird spürbarer, die Geschwindigkeit von Produktlebenszyklen und des Wandels allgemein nehmen weiter zu, während die Planbarkeit des eigenen Handelns abnimmt.

Weniger feste Regeln sowie weniger Gewissheit und klar zu erkennende Zusammenhänge sind mittlerweile beschreibende Merkmale der Arbeitswelt geworden und werden kurz als VUKA-Welt bezeichnet – Volatilität (Abweichung), Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität (Mehrdeutigkeit).

Neue Kompetenzen sind notwendig

Die VUKA-Welt verlangt nach neuen, zusätzlichen Qualifikationen und Kompetenzen von Angestellten auch in Verbänden. Ausgeprägte Kommunikations- und Analysefähigkeiten, digitales Handwerkszeug und das Management permanenter Veränderungen in großen und kleineren organisatorischen Zusammenhängen sind ebenso essenziell wie fundierte Kenntnisse des klassischen Projektmanagements sowie kreativ-innovative und agile Arbeitsmethoden.

Die Halbwertszeit von Fachwissen und Qualifikationen vermindert sich weiter. Übersichten, nach denen das Hochschulwissen nach etwa zehn Jahren, berufliches Wissen nach fünf Jahren, technisches Wissen nach rund zwei Jahren und EDV-Wissen nach nur einem Jahr nicht mehr zeitgemäß und daher nur noch bedingt anwendbar sind, erscheinen ihrerseits wiederum veraltet. Die Zeiteinheiten sind zwar eher theoretischer Natur, geben jedoch einen klaren Hinweis darauf, dass und wie zeitnah Wissensinhalte auch in Verbänden aktualisiert werden müssen.

Neue Wertvorstellungen: Autorität durch Wissen und Kompetenz statt Bürogröße und Dienstwagen

Seit etwa zehn Jahren kommen Menschen auf den Arbeitsmarkt, die der sogenannten Generation Y zugerechnet werden. Arbeitgeber machen die Erfahrung, dass sich die Vertreter dieser Generation in ihren Wertvorstellungen, den daraus resultierenden Wünschen an die eigene berufliche Tätigkeit sowie in der offensiven Art, wie diese Vorstellungen vorgetragen werden, von bisherigen Erfahrungen spürbar unterscheiden.

Der „Prototyp“ der Generation Y ist nicht nur technikaffin und hat die digitale Kommunikation quasi mit der Muttermilch aufgesogen, er arbeitet auch lieber in Teams als in Hierarchien, will durchaus Verantwortung übernehmen, strebt dabei aber statt nach Status und Prestige eher nach Sinn, Freiräumen und der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Das Bedürfnis, eine klare Trennung zwischen Beruf und Privatem vorzunehmen, löst sich nahezu auf. Die Verbundenheit mit dem Arbeitgeber nimmt tendenziell ab. Gleichzeitig bieten die Vertreter der Generation Y aber mit ihren Kompetenzen und Erfahrungen für die Entwicklung von Organisationen immense Chancen.

Konsequenzen für das Recruiting

Die erste Erkenntnis aus dem Umstand knapper werdender Personalressourcen und einer jungen Generation mit differenzierten Wertvorstellungen muss lauten: Das Recruiting beginnt nicht mit der Ausschreibung. Und es endet nicht mit der Einstellung.

Recruiting beginnt mit der Überlegung, was Sie als Verband zu einem attraktiven Arbeitgeber macht oder künftig machen könnte. Dazu gehören zunächst eindeutige und klar formulierte Wertvorstellungen, die den Verband beschreiben und ebenso für sein Handeln und Wirken im öffentlichen Raum stehen.

Zu einem attraktiven Arbeitgeber gehören selbstverständlich ferner die konsequente Nutzung moderner IT zur Unterstützung von Services und Prozessen sowie der Einsatz zielgruppengerechter, digitaler Kommunikationskanäle. Auch die konsequente Teamarbeit oder eine flexible Arbeitsorganisation mit Möglichkeiten für Homeoffice, Teilzeit und Sabbaticals steigern die Attraktivität, ebenso wie ein hoher Stellenwert von Fort- und Weiterbildung sowie eine Innovationskultur und wie Ihr Verband diese sicherstellt.

Die Bereitschaft junger Mitarbeiter, in den ersten zwölf bis 24 Monaten ihren Arbeitsplatz zu wechseln, ist im Übrigen überdurchschnittlich hoch. Kümmern Sie sich also besonders um neue Kolleginnen und Kollegen, erfahren Sie, was sie antreibt, und räumen Sie gegebenenfalls vorhandene Missverständnisse aus.

Arbeitgeber-Marketing

Dann ist zu überprüfen, ob das konsistente Bild als attraktiver Arbeitgeber auch sichtbar ist für zukünftige Angestellte. Beobachten Sie Arbeitgeber-Bewertungsportale und vermarkten Sie Ihren Verband darüber hinaus bewusst als interessanten Arbeitgeber und im Duktus, der zu Ihrem Verband passt: Mit einer Karriere-Webseite, einem Xing- Unternehmensprofil, einer Facebook- oder Instagram-Seite, Studenten-Praktika oder Uni-Marketing schaffen Sie die Gelegenheit, sich frühzeitig, kontinuierlich und mit wechselnden redaktionellen Inhalten an zukünftige Arbeitnehmer zu wenden – bevor Sie tatsächlich Stellen zu besetzen haben.

Mit diesen Maßnahmen sind zugleich auch neue, zielgruppengerechte Recruiting-Kanäle bedient. Denn adäquates Recruiting für eine digital affine Zielgruppe ist konsequenterweise digital, mobil und „social“.

Budgetierte, strukturierte Personalentwicklung

Die Personalentwicklung in Verbänden benötigt grundsätzlich einen neuen Stellenwert. Dies erfordert nicht nur die erschreckend kurze Halbwertszeit von Fachwissen und Qualifikationen. Auch die große Leidenschaft insbesondere junger Kollegen, sowohl Wissen zu teilen wie auch an Wissen und Erfahrung teilzuhaben, ermöglicht, die Personalentwicklung als strategisches Element der Mitarbeiterbindung einzusetzen. Gehen Sie hierbei den Weg abseits von starren Seminarkatalogen hin zu individualisierten, skillbasierten Maßnahmen, E-Learning-Angeboten oder Blended-Learning-Konzepten, also der Verbindung von Präsenz-Veranstaltungen mit E-Learning-Modulen.

HR erhält neue Tätigkeitsbereiche

Ein zentraler Hinweis dieses Artikels lautet: Modernes Personalmanagement erhält neue Tätigkeitsbereiche. Dazu zählt zunächst, sich aktiv und grundsätzlich in strategische Überlegungen einzubringen. Die digitale Transformation, das Gesundheitsmanagement oder die Modernisierung in der Arbeitswelt gehören hier exemplarisch dazu. Initiieren Sie Diskussionen, die Ihnen über kurz oder lang von den jungen Kolleginnen und Kollegen abverlangt werden: In welchem Umfang wird beispielsweise eine Präsenzkultur in Ihrer Organisation von einer Ergebniskultur abgelöst? Wird das Büro –
und hier gebe ich gern Gedanken unter anderem des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) e. V. weiter – künftig weniger als feste geografische Größe, sondern als mobiles Office, als Sphäre, als Raum ohne Grenzen verstanden?

Zu den neuen Tätigkeitsfeldern zählen in der Folge das strukturierte Organisieren von Arbeitsformen wie Team- und Projektarbeit sowie Möglichkeiten des internen Austausches und der externen Vernetzung. Ferner gehören das Gestalten der Arbeits- und Sozialräume auf Basis aktueller arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse, der Zugang und Einsatz von Technologie und digitalem Leben, die Unterstützung von Veränderungsprozessen durch Maßnahmen der Mitarbeiter-, Team- und Organisationsentwicklung sowie die Gestaltung des digitalen Wissensmanagements dazu.

Und schließlich gestaltet HR die Führungskräfte-Entwicklung, die insbesondere neue Erkenntnisse und Anforderungen an Management und Führung im Blick hat: Komplexität und Veränderungen zu managen und die Führungsrolle durch die Fähigkeit als Kommunikator, als Vernetzer und als Coach zu ergänzen.

Und die Vergütung?

An dieser Stelle soll gar nicht erst der Versuch unternommen werden zu bestreiten, dass eine leistungsgerechte, vergleichbare Vergütung ihren berechtigten Stellenwert auch bei jüngeren und jungen Angestellten und ihrer Entscheidung für oder gegen (den Verbleib) bei einem Arbeitgeber hat. Aber die Höhe der Vergütung stellt tatsächlich nur ein Kriterium neben vielen anderen in diesem Artikel benannten Rahmenbedingungen dar. Persönlich habe ich Entscheidungen junger Vertreter der Generation Y gegen ein höheres Gehalt und für ein modernes, auf ihre Wünsche zutreffendes Arbeitsumfeld erlebt.

Vom Personalwesen zum Human Ressources Management

In der funktionalen Betriebswirtschaftslehre wird das „Personalwesen“ neben Beschaffung, Materialwirtschaft und Logistik, Finanzen, Marketing und Unternehmenskommunikation, QM, Steuerlehre und Unternehmensführung aufgeführt.

Das klassische Verständnis einer Konzentration des Personalwesens auf die Bereitstellung von Personal und den Personaleinsatz reicht so zukünftig nicht mehr aus. Es geht schlicht um die wertvollste aller Ressourcen, die eine Organisation durch ihre Mitarbeiterschaft an Wissen, Fähigkeiten und Motivation besitzt.

Die Frage ist nicht, wie (junge) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert werden können. Sie sind motiviert, auch deswegen wurden sie ausgewählt. Die Frage ist, was Verbände tun können, damit die Mitarbeiterschaft motiviert bleibt.

Dem Personalmanagement muss im Verband eine neue Rolle zuteilwerden. Seine Tätigkeitsbereiche sind zu erweitern und es muss mit dem Selbstverständnis von Human Ressources Management bei allen Organisationsentwicklungsmaßnahmen auf Augenhöhe einbezogen werden und zusammen mit dem Verbandsmanagement strategischer Partner sein.

Einige Verbände haben bereits die Aspekte „Personal und Organisationsentwicklung“ in einer Organisationseinheit zusammengefasst. Hier scheinen der Wettbewerb um die Mitarbeiter und die Zukunft des Personalmanagements begonnen zu haben.

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