In den kommenden Jahren werden in den Verbänden viele Führungskräfte allein altersbedingt ausscheiden. Eher selten stehen Nach­folgerinnen bzw. Nachfolger intern zur Verfügung, sodass Verbände in der Regel auf dem Arbeitsmarkt nach geeigneten Kandidaturen suchen. Keine leichte Aufgabe in ­Zeiten eines tendenziell „engen“ Arbeitsmarktes. Kann man es sich leisten, die Suche von Anfang an auf Führungskräfte aus der eigenen Branche oder sogar aus dem eigenen Verbandsumfeld zu beschränken? Und ist dies überhaupt sinnvoll, oder sind die viel beschworenen Besonderheiten des Verbandes und der Branche letztendlich gar nicht so entscheidend für die Suche nach der „idealen“ Führungskraft? Es lohnt sich, zunächst systematisch die Anforderungen an eine Verbandsführungskraft zu analysieren und erst im Anschluss geeignete Rekrutierungswege zu erarbeiten.

Dr. Karin Stuhlmann und Lars Funk

Die Anforderungen an Führungskräfte haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt und sind tendenziell immer weiter gestiegen. Das betrifft Verbände ebenso wie Unternehmen und andere Wirtschaftsorganisationen. Die drei größten Herausforderungen für Führungskräfte liegen heute in der großen Dynamik von immer schnelleren Veränderungen, in einem steigenden Wettbewerbsdruck sowie in teilweise extremer Komplexität. Häufig wird diese Situation auch als VUKA-Welt bezeichnet: hohe Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität (Vieldeutigkeit).

Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf Führungsstrukturen, Unternehmenskultur und Führungsverhalten. Strukturell werden statische Hierarchien immer weiter abgebaut und durch temporäre und/oder situative Führungsmodelle (z. B. im Rahmen einer Projektorganisation) ersetzt. Kulturell wenden sich Organisationen immer mehr den sogenannten agilen Methoden zu. Es geht darum, die Denk- und Handlungsrichtungen in Organisationen regelrecht umzubauen: von vertikal-hierarchisch zu horizontal-interdisziplinär und von der „Anordnung von oben“ hin zur sich selbst organisierenden (agilen) Organisation.

Es ist offensichtlich, dass sich auch das Führungsverhalten diesen Änderungen anpassen muss. Die jahrzehntelang gültige Theorie der situativen Führung ist zwar immer noch gültig, heute aber längst nicht mehr ausreichend. Führungskräfte können nicht mehr alle Themen inhaltlich durchdringen und verstehen. Sie müssen sich auf ihre Mitarbeitenden als Spezialisten verlassen können. Vertrauen ist somit zu einer elementaren Säule des Führungsverhaltens geworden. Dies geht einher mit einer Verlagerung von Entscheidungskompetenzen in niedrigere Ebenen bzw. Projektteams. Führungskräfte treten in dieser Situation viel seltener als Vorbilder in Erscheinung, sondern eher als Coach oder Minister (Minister im Sinne von ministrare = dienen). Sie halten sich aus inhaltlichen Diskussionen heraus und geben auch keine Tipps mehr, stattdessen beschränken sie sich darauf, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen und darauf zu achten, dass die Regeln der Zusammenarbeit im Unternehmen eingehalten werden.

Führungsunterschiede bei ­Verbänden und Unternehmen

Als wären die oben beschriebenen Anforderungen an Führungskräfte nicht schon anspruchsvoll genug, kommen in Verbänden noch einige Besonderheiten hinzu, die die Führungsarbeit im Vergleich zu Unternehmen eher noch komplexer gestalten. Abbildung 1 zeigt einen Überblick über die Unterschiede in der Führung eines Verbandes gegenüber einer Unternehmensführung.

Abbildung 1: Wesentliche Unterschiede in der Führung von Verbänden und Unternehmen

Jeder dieser Unterschiede sollte ernst genommen und hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Anforderungen an Führungskräfte ausreichend beleuchtet werden. Geschieht das nicht, so kann dies zu folgenschweren Missverständnissen und Fehlentscheidungen bei der Personalauswahl führen. So ist z. B. die Thematik der Sachzielorientierung eines Verbandes durchaus erklärungsbedürftig. Der bereits seit einiger Zeit diskutierte Trend zu mehr unternehmerischer Kompetenz in der Verbandsführung heißt eben nicht, diese Sachzielorientierung aufzugeben oder aufzuweichen. Rendite kann aus ganz grundsätzlichen Überlegungen heraus kein Ziel für einen Verband sein. Vielmehr ergeben sich die Ziele des Verbandes aus den grundlegenden Dokumenten wie Satzung, Statuten und Leitbild. Gleichwohl müssen die aus den Zielen abgeleiteten Verbandsaktivitäten nachhaltig finanziert werden. Die Erfolgsmessung eines solchen sachzielorientierten Systems ist ungleich schwieriger als die in Unternehmen übliche Fokussierung auf betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie Deckungsbeitrag, Return on Investment oder Rendite.

Auch das Miteinander von haupt- und ehrenamtlicher Struktur – und damit verbunden die partizipativ gestalteten Entscheidungsprozesse – ist eine Besonderheit der Verbände, die unmittelbar Auswirkungen auf die Anforderungen an Führungskräfte hat. Führungskräfte in Verbänden müssen in der Lage sein, ein echtes Vertrauensverhältnis zu „ihrem“ Ehrenamt aufzubauen. Ebenso ist es keine einfache Aufgabe und sicherlich nicht jedermanns Sache, das Ehrenamt adäquat in Entscheidungen einzubeziehen, wenn diese auf­grund größerer zeitlicher Ressourcen und eines häufig vorhandenen Informationsvorsprungs auch durch das Hauptamt getroffen werden könnten.

Das Profil der Verbands­manager

In Deutschland gibt es keine Ausbildung zur Verbandsmanagerin/zum Verbandsmanager.1 Nachwuchs für Führungskräfte im Verband wird dann häufig ausschließlich in der eigenen Branche gesucht, was nach unserer Erfahrung allerdings das Spektrum von Anfang an unnötigerweise einschränkt.

Die eingangs in diesem Artikel beschriebenen Anforderungen an eine moderne Führungskraft gelten allgemein und sind somit für Führungskräfte in Verbänden ebenso gültig wie für Führungskräfte in Unternehmen. Aus den Unterschieden zwischen der „Verbandswelt“ und der „Unternehmenswelt“ ergeben sich aus unserer Sicht jedoch mindestens vier weitere Anforderungen an Verbandsführungskräfte:
Führungskräfte in Verbänden müssen in der Lage sein, ein Vertrauensverhältnis zum Ehrenamt aufzubauen und zu pflegen. Dazu ist es zunächst einmal erforderlich, die jeweiligen Rollen zu klären und den Handlungsrahmen der einzelnen Akteure abzustecken.

Führungskräfte in Verbänden müssen die teils divergierenden Interessen ihrer Mitglieder bündeln können und anschließend in der Lage sein, diese gezielt zu vertreten. Hierzu sind je nach Situation Fingerspitzengefühl und Diplomatie ebenso erforderlich wie gesundes Durchsetzungsvermögen.

Führungskräfte in Verbänden müssen die Herausforderung der Sachzielorientierung annehmen. Für die Erfolgsmessung heißt das, dass betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie KPI, RoI und Rendite meist nicht weiterhelfen, sondern auch qualitative Indikatoren der Wirkungsmessung beachtet werden sollten.

Führungskräfte in Verbänden müssen sich selbst zurücknehmen können. Auch wenn der große Teil der Arbeit im Hauptamt erledigt wird, stehen bei repräsentativen Aufgaben und Entscheidungen die ehrenamtlichen Funktionsträger im Mittelpunkt.

Die richtige Person finden

Nach unserer Erfahrung ist es gar nicht so schwierig, Personen aus der Wirtschaft für eine Führungsaufgabe in einem Verband zu begeistern. Viele Verbände haben in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht und sich als attraktive Arbeitgeber positioniert. Auch wenn Unternehmen häufig noch mehr Gehalt anbieten können, so haben auch Verbände attraktive Gesamtkonditionen zu bieten. Ein großer Vorteil der Verbände liegt unbestritten darin, dass sie insbesondere ihren Führungskräften eine Aufgabe mit großem Gestaltungspotenzial – weit über die eigene Organisation hinaus – anbieten können. Häufig ist dies mit einer Nähe zu Politik und Presse verbunden, die die meisten Unternehmen so nicht kennen. Zudem suchen viele Führungskräfte heutzutage nach „sinnstiftenden“ Aufgaben und glauben, diese in NPO eher zu finden als in profitorientierten Unternehmungen. Darüber hinaus haben viele Verbände auch an ihrem Image als attraktive Arbeitgeber gearbeitet: Moderne Arbeitsformen (mobil, Homeoffice-Tage), regelmäßige Weiterbildung, attraktive Zusatzleistungen (Auto, betriebliche Altersversorgung) und Angebote zur Gesundheitsförderung gehören für viele Verbände heute zum Repertoire.

Für die konkrete Suche stehen heutzutage sehr unterschiedliche Kanäle zur Verfügung: Print-Anzeigen, Online-Anzeigen, digitale Netzwerke und Direktansprachen bieten vielfältige Möglichkeiten, potenzielle Bewerberinnen und Bewerber auf das Angebot aufmerksam zu machen.

Abbildung 2: Berufsbezogene Persönlichkeitsmerkmale gemäß Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP)

Die größere Schwierigkeit besteht anschließend jedoch darin, aus dem Kreis der Bewerbungen die für die jeweilige Position tatsächlich geeignete Person auszuwählen. Grundlage für den Auswahlprozess sollte immer ein sorgfältig ausgearbeitetes Stellenprofil sein. Selten verfügen die Kandidaten jedoch über Erfahrung in allen für die Position relevanten Bereichen. Es kommt dann darauf an herauszufinden, ob sie die grundsätzlichen Voraussetzungen für die neue Posi­tion mitbringen, also für die neuen Anfor­derungen befähigt werden können – getreu dem Motto „Hire for attitude – train for skills“. Dabei sollte der Auswahlprozess grundsätzlich mehrstufig angelegt werden. Mithilfe strukturierter Interviews kann viel über die Motivation, die persönlichen Werte und das Selbstbild einer Person herausgefunden werden. Anhand von Fallbeispielen – möglichst konkret und aus dem Aufgabengebiet der zu besetzenden Position – kann man auch viel über das grundsätzliche Verhalten einer Person erfahren.

Mit diesen Hilfsmitteln lässt sich die Auswahl schon deutlich eingrenzen. Erfüllen mehrere Kandidaten die Voraussetzungen, bieten sich Assessmentverfahren zur Analyse insbesondere der berufsbezogenen Persönlichkeitsmerkmale an. Dazu stehen eine ganze Reihe von Testverfahren zur Verfügung. Wir haben gute Erfahrungen mit der Anwendung des „Bochumer Inventars zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung“ gemacht. Dieses ist gemäß Publikation im Schweizer Personalmanagement-Magazin HR-Today aus dem Jahr 2006 das einzige deutschsprachige Verfahren, das explizit für den berufsbezogenen Einsatz entwickelt wurde und dabei nicht auf veralteten Theorien beruht.

 Ein großer Vorteil der Verbände liegt  unbestritten darin, dass sie insbesondere ihren  Führungskräften eine Aufgabe mit großem  Gestaltungspotenzial – weit über die eigene  Organisation hinaus – anbieten können. 

Häufig werden von Verbänden auch Findungskommissionen eingesetzt, insbesondere wenn die Stelle des (Haupt-) Geschäftsführers neu besetzt werden soll. Grundsätzlich ist dies eine ausgezeichnete Möglichkeit, ausgewählte ehrenamtliche Entscheidungsträger des Verbandes am Einstellungsprozess zu beteiligen. Es kommt jedoch darauf an, wie diese Beteiligung konkret ausgestaltet wird, schließlich kann nicht die gesamte Kommission an den Interviews teilnehmen und würde sich dann wohl auch nur schwerlich auf eine Kandidatur einigen können. Hier gilt es im Vorfeld festzulegen, welche Dokumente (z. B. Stellenprofil, Auswahlkriterien) und welche Arbeitsschritte mit der Kommission abgestimmt bzw. von dieser genehmigt werden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Kommission zum Ende des Prozesses zwischen mehreren Kandidaten selbst auswählt oder eine Kandidatin/einen Kandidaten bestätigt, die bzw. der nach den von ihr im Vorfeld festgelegten Kriterien ausgewählt wurde. Für beide Varianten gibt es Vor- und Nachteile, die unbedingt im Vorfeld diskutiert werden sollten.
Eine externe Unterstützung des gesamten Auswahlprozesses durch eine erfahrene Personalberaterin oder einen Personalberater hat sich hier bereits vielfach bewährt. Neben dem methodischen Wissen zur sicheren Auswahl der besten Führungskraft bieten Beratungen einen unabhängigen und unvoreingenommenen „Blick von außen“, der u. a. auch internen Machtspielen und blinden Flecken entgegenwirken kann.

Fazit

Die Suche nach Nachfolgern für die oberste Führungsebene wird in den kommenden Jahren viele Verbände betreffen. Dabei handelt es sich um eine gleichermaßen wichtige wie schwierige Aufgabe. Die Schwierigkeit sehen wir weniger darin, Persönlichkeiten aus der Wirtschaft oder auch aus der Politik für eine Führungsaufgabe im Verband zu begeistern. Die große He­rausforderung besteht vielmehr darin, aus den potenziellen Kandidaturen die- oder denjenigen auszuwählen, die bzw. der den besonderen Anforderungen an eine Führungsaufgabe im Verband gewachsen ist. Aus unserer praktischen Erfahrung wissen wir, dass Verbände gerade diesem Thema oft zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Stattdessen wird die Nachfolgesuche häufig auf die eigene Branche beschränkt, was nach unserer Erfahrung ebenfalls nur selten sinnvoll ist. Durch eine sorgfältige Analyse der Anforderungen kann der Kreis der potenziellen Kandidaturen oft weiter gefasst werden und gemäß dem Motto „Hire for attitude – train for skills“ eine geeignete Person gefunden werden.


Dr. Karin Stuhlmann studierte Psychologie und Pädagogik an der Universität Zürich und ist Absolventin des Diplomlehrgangs Verbands-/NPO-­Management am Institut für Verbandsmanagement (VMI). 2009 stieg sie als Beraterin bei der Beratergruppe für Verbands-Management (B’VM) ein. 2010 übernahm sie im Mandat die Geschäftsführung des Schweizerischen Verbands der Ernährungsberater/-innen (SVDE). Seit 2012 ist sie Partnerin und Mitglied der Geschäftsleitung B’VM Schweiz.

karin.stuhlmann@bvmberatung.net

Lars Funk studierte Maschinenbau an der Fachhochschule Bochum. Er war insgesamt 23 Jahre in verschiedenen Positionen für den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) tätig und dort zuletzt innerhalb der Geschäftsleitung für den Bereich Berufs- und Bildungspolitik verantwortlich. Seit 2018 arbeitet er für die Beratergruppe für Verbands-Management (B´VM) in Köln. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Strategieentwicklung und Personalberatung.

lars.funk@bvmberatung.net

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