Es besteht kein Zweifel: Auf den Führungsetagen von NPOs, NGOs, Verbänden und Stiftungen werden in nächster Zeit viele Stellen frei. Die Gründe hierfür sind vielfältig und u. a. in engem Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung zu sehen. Die Babyboomer sind in die Jahre gekommen und ein Generationenwechsel steht bevor. Diese Entwicklung ist keineswegs nur zu beklagen, sondern bietet für Frauen die Chance, beruflich weiterzukommen, und für die Organisationen, sich in Richtung Familienfreundlichkeit und Gendergerechtigkeit weiterzuentwickeln. Ob diese auch genutzt wird, wurde jüngst im Rahmen eines vom Familienministerium geförderten Forschungsprojektes untersucht.
Annette Zimmer
Unter der provokanten Fragestellung „Frauen in der Abseitsfalle“ wurden NPOs – darunter Verbände – als Arbeitgeber näher in den Blick genommen und die Arbeitsbedingungen sowie Karrierechancen speziell für Frauen untersucht. Dem Forschungsvorhaben lag ein Methodenmix von sekundärstatischen Analysen, einer Online-Befragung sowie als Kern der Untersuchung 73 leitfadengestützte qualitative Interviews mit Mitarbeiterinnen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen (Einstiegs-, mittlere und Top-Ebene) sowie 23 leitfadengestützte Telefoninterviews mit Personalverantwortlichen von 31 Non-Profit Organisationen unterschiedlicher Bereiche (u. a. Verbände) zugrunde. Insbesondere die Ergebnisse der Interviews weisen den Nonprofit-Sektor als attraktiven Arbeitsmarkt für Frauen (wie für Männer) aus, gleichzeitig werden die „Stolpersteine“ und Hindernisse deutlich, warum bisher eher wenige Frauen die Karriereleiter im Sektor aufsteigen. Hierzu zählen gesamtgesellschaftlich wirksame Karrierebremsen sowie Hindernisse, die sich infolge der Strukturbesonderheiten von NPOs ergeben.
Gesamtgesellschaftlich wirkungsmächtige Faktoren
„Muster im Kopf“ bzw. Geschlechterstereotypen prägen ganz allgemein die Arbeitswelt und die Organisationskulturen, auch von NPOs. Zudem beeinflussen Stereotype indirekt auch das individuelle Verhalten und die Selbsteinschätzung von Frauen. Dementsprechend kommen Frauen aus Sicht ihres Umfelds – sowie zum Teil auch gemäß eigener Einschätzung – für anspruchsvolle Aufgaben auf den Führungsebenen von Organisationen einschließlich NPOs eher nicht infrage, und zwar weil:
Führen und Leiten eher Männern als Frauen zugetraut wird;
Frauen primär Verantwortung für Familie und Kinder zugeschrieben wird;
Frauen sich hinsichtlich Einsatz und Leistung subjektiv gesehen anderen Anforderungen gegenübersehen als Männer und sie sich daher Führung und Leitung nicht zutrauen oder diese Aufgaben bewusst nicht anstreben.
In den Interviews wurde deutlich, dass Frauen nach wie vor mit vorgefassten und kulturell eingefahrenen Vorurteilen zu kämpfen haben, insbesondere wenn es darum geht, für eine Führungsposition in Betracht gezogen zu werden. So äußerte eine Mitarbeiterin, die auf der mittleren Management-Ebene einer NPO tätig ist:
„Man kann … die besten Abschlüsse haben, … auch die meiste Praxiserfahrung, aber dann ziehen Männer mit weniger reichhaltigen Lebensläufen rechts und links an einem vorbei … Es reicht viel weniger für Männer, um zu viel edleren Positionen zu kommen.“
Hierbei kommt tradierten Rollenmustern und primär der nach wie vor Frauen zugeschriebenen Verantwortung für Familie und Kinder eine zentrale Bedeutung zu. So äußerte ein männlicher Geschäftsführer einer NPO:
„Wenn ich jetzt ganz betriebswirtschaftlich meine Aufgabe als Geschäftsführer ernst nehme, dann ist es immer ein Risiko … Also ich setze die Organisation immer einem Risiko aus, wenn ich mich für eine kinderlose 30-
jährige Frau entscheide.“
Demgegenüber wurde von den weiblichen Interviewten angemerkt, dass Frauen es häufig unterlassen, sich ins rechte Licht zu rücken und für den nächsten Karriereschritt ins Gespräch zu bringen:
„Frauen gehen nicht genügend selbstbewusst mit ihren Fähigkeiten um … Frauen packen eher ein … (weibliche Führungskraft/Top-Ebene).
„… weil wir Frauen oftmals zu wenig ‚plappern‘, auch zu wenig bereit sind, uns dann ins kalte Wasser zu stürzen.“ (Weibliche Führungskraft /mittleres Management)
Neben diesen gesamtgesellschaftlich wirkenden Faktoren wurden auf Basis der Interviews NPO-spezifische Barrieren ermittelt, die dem Vorankommen von Frauen auf der Karriereleiter in NPOs entgegenwirken. Diese sind in einem engen Zusammenhang zu den „Strukturbesonderheiten“ von NPOs zu sehen. Sie machen das Arbeiten im Sektor einerseits attraktiv; andererseits tragen die Strukturbesonderheiten von NPOs maßgeblich dazu bei, dass klassische Muster und gegenderte Rollenzuschreibungen nicht infrage gestellt werden.
Strukturbesonderheiten von NPOs
Non-Profit-Organisationen unterscheiden sich von den Konkurrenzeinrichtungen in Markt und Staat anhand einer Reihe von Kriterien bzw. Strukturbesonderheiten, und zwar u. a. aufgrund ihrer:
Wert- und Normenorientierung, die in der Regel in der Zielsetzung der Organisation zum Ausdruck kommt,
Governance, die häufig partizipativ gestaltet und in größeren NPOs von flachen Hierarchien und autonomen Arbeitsbereichen geprägt wird,
Arbeitsorganisation und Arbeitsverhältnisse, die sich durch familienfreundliche Leistungen und flexibilisierte Beschäftigungsverhältnisse gerade im operativen Bereich auszeichnet.
NPOs als attraktive Arbeitgeber
In den Interviews wurde deutlich, dass NPOs als Arbeitsplatz gerade aufgrund ihrer Strukturbesonderheiten attraktiv sind. Dies trifft in besonderem Maße auf die normativ-ideelle Orientierung der NPOs zu. Frau, aber auch Mann, entscheidet sich ganz bewusst für eine Tätigkeit im NPO-Sektor, und zwar aus einer stark intrinsischen Motivation heraus:
„Ich möchte was Sinnvolles tun, möchte mich einsetzen, möchte was für die Gesellschaft tun“ (Weibliche Führungskraft /mittleres Management)
„Ich brauche schon einen normativen Überbau. Also ich muss schon irgendwas machen, wo ich das Gefühl habe, dass ich irgendwie einen Sinn darin Spüre.“ (Männliche Führungskraft/Top-Ebene)
So entsprechen NPOs in hohem Maße den Erwartungen von Frauen (aber auch von Männern) an eine sinnvolle und gesellschaftlich nützliche, professionell-berufliche Tätigkeit. Auch kommen NPOs den Wünschen und Bedarfen von Frauen nach flexibler Arbeitszeitgestaltung und familienfreundlichen Leistungen entgegen. So bemerkte eine Top-Führungsfrau:
„Ich finde es als Mutter schon cool, so einen Job zu haben … Also das ist wahrscheinlich auch eine sehr weibliche Sache … und auch dem Sektor ein bisschen geschuldet, wo das einfach machbarer ist, auch diese Flexibilität zu haben.“
Ferner ermöglichen NPOs aufgrund ihrer spezifischen Governance in beachtlichem Umfang autonomes Arbeiten im Kontext von Projekten sowie Verantwortungsbereichen, die umfangreiches Fachwissen voraussetzen und insofern auch auf der Ebene des mittleren Managements sehr attraktive Arbeits- und Zuständigkeitsbereiche vorhalten, ohne dass dies mit dem Alltagsstress einer mit umfänglichen repräsentativen Verpflichtungen verbundenen Top-Führungsposition verbunden ist.
„Es geht mir eigentlich darum, dass ich mit meiner Arbeit glücklich bin und dass ich irgendwie ein gutes Umfeld habe und dass ich Spaß daran hab, … was dann draufsteht, ist eigentlich relativ egal.“ (Weibliche Führungskraft/mittleres Management)
Strukturbesonderheiten als Karrierebremse für Frauen
Karrieretechnisch wirken sich die Strukturbesonderheiten aber nicht durchgängig zum Vorteil für Frauen aus. Mehrheitlich wurde von Frauen und Männern in den Interviews bemerkt, dass Frauen – mehr noch als Männer – teilweise dazu neigen, sich mit einer einmal erreichten Position zufriedenzugeben, sich für einen Verbleib im Team zu entscheiden und insbesondere den mit einer beruflichen Veränderung häufig verbunden Wechsel des Wohnortes zu scheuen. Da für viele Frauen „Chef-Sein“ kein Wert an sich darstellt, lohnt es sich aus ihrer Sicht nicht, den „Hut in den Ring zu werfen“, um einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter nach oben zu kommen. So die Einschätzung einer NPO-Mitarbeiterin aus dem mittleren Management:
„Meine Motivation ist nicht, die klassische Karriere zu machen … Das ist … überhaupt nicht das, was mich treibt. Für mich war immer ausschlaggebend: Worauf habe ich Lust.“
Aber auch Frauen auf der Einstiegsebene sehen im beruflichen Vorankommen im Sinne eines sukzessiven Aufstiegs in der eigenen NPO oder im Sektor keinen Wert an sich. So die Zukunftsperspektive einer Interviewten, die noch am Anfang ihres Berufswegs steht:
„Verantwortung, Stress, keine Freizeit, viel Koordinierungstätigkeit. Ich sehe das nicht besonders positiv und mich in Zukunft auch nicht in einer Führungsposition.“ (NPO-Mitarbeiterin/Einstiegsebene)
Dass NPOs ein Arbeitsumfeld vorhalten, in dem sich Frau – wie auch Mann –
ganz bewusst gegen eine Karriere und für eine ausgewogenere Work-Life-Balance entscheidet, und trotzdem autonom arbeiten und innovativ tätig sein kann, ist jedoch nur ein Aspekt, der zur Erklärung der geringen Repräsentanz von Frauen auch auf den Führungsetagen der NPOs heranzuziehen ist. In den Interviews wurden insbesondere von den weiblichen Befragten auch handfeste strukturelle Gründe genannt, die es Frauen in NPOs schwer machen, voranzukommen. So wurde häufig auf die mit Ehrenamtlichen besetzten Gremien – Vorstände oder Aufsichtsräte – verwiesen, die für die Besetzung von Leitungspositionen verantwortlich und in der Regel mehrheitlich mit älteren Herren besetzt sind. Diese wiederum neigen dazu, ihresgleichen zu rekrutieren und insofern eher Männer als Führungskräfte bevorzugen. So berichteten weibliche Interviewte von ihren Erfahrungen:
„Ich nehme diesen Männerklüngel durchaus wahr.“ „Es scheidet einer aus und wir holen uns eine gleiche Person, die reinpasst, von der wir wissen, wie sie denkt und wie sie agiert.“ (Weibliche Führungskraft/Top-Ebene)
Ferner wurde kritisch angemerkt, dass von den Ehrenamtlichen zum Teil nicht oder nur schwer zu erfüllende Erwartungen und Anforderungen an den Berufsalltag von Führungskräften gestellt werden, sodass sich ein Aufstieg in die nächst höhere Position bei nüchterner Kalkulation eigentlich nicht lohnt.
„Im Non-Profit-Bereich ist man sozusagen frei verfügbar. Nachdem die hier am Wochenende viel Zeit haben, denken die: Wir hätten am Wochenende auch nichts Besseres zu tun. Insofern erlebe ich das eigentlich als energieraubend.“ (Weibliche Führungskraft/Top-Ebene)
Veränderungsbedarfe
Aus Sicht der Interviewten sind die Organisationen inzwischen bemüht, gutes Personal – Männer wie Frauen – in den NPOs zu halten. Die Maßnahmen, u. a. reduzierte Arbeitszeiten (Teilzeit), Homeoffice, Auszeiten (Sabbat-Jahre) sowie die Vermittlung von Kinderbetreuung oder Familien-Services, adressieren aber vor allem Mitarbeiterinnen der Einstiegsebene sowie des mittleren Managements, während die Top-Ebene kaum in den Blick genommen wird, so die Einschätzung einer Top-Führungsfrau:
„Ja, ich glaube, die Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter sind gut diesbezüglich. Da gibt es schon viel Unterstützung. Ist halt auch ein Verein … Bis zu einer Ebene ist das wirklich gut.“ (Weibliche Führungskraft/Top-Ebene)
Gleichzeitig wurde unisono von den Interviewten, insbesondere auf der Top-Führungsebene, auf Defizite bei der Personalentwicklung der NPOs hingewiesen, die bisher über Mitarbeitergespräche und das Angebot von internen und externen Weiterbildungsprogrammen nicht hinausgeht. Eine Personalentwicklung im Sinn von Gendergerechtigkeit findet aus der Sicht der Interviewten nicht statt:
„Man kann Modelle und Lösungen finden, um Frauen effektiv zu fördern, aber das erfordert Mehrarbeit, das ist eine Investition. Es bedeutet die Priorität zu setzen, Frauen zu suchen, anzusprechen und aufzubauen, sie zu unterstützen … Da liegt noch ein weiter Weg vor uns.“ (NPO-Mitarbeiterin/Einstiegsebene)
Was diesbezüglich getan werden muss, damit sich die Verhältnisse ändern und Gendergerechtigkeit im Arbeitsalltag und insbesondere auf den Führungsetagen der NPOs erreicht wird, daran ließen die interviewten weiblichen NPO-Mitarbeiter keinen Zweifel:
„Und da gibt es außer der Quote für mich eigentlich wenig Alternativen, wenn man es wirklich will … Eine Quote und ein unbedingter Wille, das zu fördern, sonst wird das nicht funktionieren.“ (Weibliche Führungskraft/Top-Ebene)
Demgegenüber verhielten sich die interviewten Personalverantwortlichen bezüglich einer Quotierung insbesondere von Leitungspositionen eher bedeckt. So wurde darauf verwiesen, dass Karrieren von Frauen in der Organisation eher implizit als explizit mittels spezifischer Instrumente gefördert würden, wobei gezielte Ansprachen von Kandidatinnen für Leitungsaufgaben durch Vorgesetzte überwiegend genannt wurden. Zum Teil wurde die Problematik aber auch mit Formulierungen wie „Das war bei uns nie ein Problem“, „Da wird echt nicht geschaut, ob Männlein oder Weiblein, das muss halt passen, das muss halt geeignet sein“ oder „Wir definieren uns über unsere Arbeit und nicht über das Geschlechterverhältnis“ einfach kleingeredet. Insofern ist der Einschätzung einer Top-Führungsfrau voll zuzustimmen, dass die Chancen zur Veränderung bisher nur bedingt genutzt werden, und zwar insgesamt sowie im Non-Profit-Sektor:
„Wir haben ja im Moment in diesem Land eine Situation, dass wir immer mehr Fachkräfte suchen, und im Zuge dessen werden sich – glaube ich – auch die Frauenerwerbstätigkeit und der Blick darauf noch mal verändern …
Die Frauen sind total gut ausgebildet … In Deutschland wird dieses Kapital der gut ausgebildeten, motivierten Frauen nicht ausreichend genutzt.“