Viele aktuelle Studien belegen, dass Organisationen durch divers besetzte Führungsgremien erfolgreicher werden. Dabei belegen repräsentative Umfragen, dass neben Umsatzsteigerungen auch Performancesteigerungen in den Bereichen Kreativität, Innovation und unternehmerischer Offenheit zu verzeichnen sind, wenn Gender Diversity im C-Level (Chief Management) Einzug hält (1). Die Verbandswelt ist hier stark gefordert, denn gelebte Vielfalt im eigenen Haus befördert die Zukunftsfähigkeit der Verbände und damit auch die ihrer Mitgliederschaft.
Tanja Auernhamer
Nicht nur bei Familienunternehmen liegt der Frauenanteil laut dem aktuellen ALLBRIGHT-Bericht vom Mai 2022 (2) in den Geschäftsführungen im Schnitt bei nur 8,3 Prozent. Auch auf Verbandsebene spiegelt sich dieser alarmierende Zustand wider.
Auf Vielfalt statt Einfalt setzen
Spätestens, wenn Fachkräfte rar sind, zur Konkurrenz abwandern oder Nachwuchstalente einen ignorieren, sollte man(n) das Feuer auf dem Dach bemerken. Das Leben wird immer komplexer, das Weltwissen verdoppelt sich geschätzt alle fünf bis acht Jahre, die Lebenssituationen sind – wie auch die Geschäftswelten – immer weniger planbar, die zu bewältigenden weltweiten Krisen verschärfen den Druck. Diese Faktoren im Zusammenspiel mit der Dynamik der Märkte zwingen heute auch Traditionsunternehmen dazu, ihre Strukturen einer radikalen Prüfung und Umgestaltung zu unterziehen. Keiner kann es sich leisten, auf gut ausgebildete Talente zu verzichten. Die erfolgreichen internationalen Player beweisen, dass Produkte und zukunftsgerichtete Services nur so innovativ und flexibel an den Bedarf angepasst sind, wie es ihre Entwickler und Vermarkter im Unternehmen sind.
Diversität hat dabei viele Facetten, die relevant sind für eine innovative Teamzusammensetzung. Im Technologie-Umfeld und im UX-Design spielen Geschlecht, Alter und Generation, Beruf bzw. Tätigkeitsfeld, Technikerfahrung, Bildung, ethnischer bzw. kultureller Hintergrund, aber auch Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen eine wichtige Rolle. Die verschiedenen Dimensionen unserer Persönlichkeit bestimmen unser Nutzerverhalten und damit auch unbewusst unsere Kaufentscheidungen, prägen aber auch unser Urteilsvermögen. Vorurteile verhindern neue Ideen und auch Offenheit für Wandel, Diversität führt im Umkehrschluss zu diversem Denken. Das gilt sowohl in der Industrie sowie in jeder anderen Geschäfts- und Lebenslage. Auch die Verbandswelt profitiert von diversen Teams, um den volatilen Anforderungen der Mitgliedschaften gerecht zu werden, deren Interessen sie vertreten. Höchste Zeit also, sich auf professioneller und höchster Ebene damit auseinanderzusetzen!
Seit Langem werden Produkte gezielt beispielsweise für Frauen konzipiert, denn ihr Potenzial als Kaufentscheider:innen ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. „Es gibt (jedoch) […] das Paradoxon, dass die Wirtschaft die Kaufkraft von Gruppen erkannt hat, sie als Zielgruppen erschließen möchte, dies aber nicht gelingt, weil diese Gruppen in der Produktentwicklung zu wenig berücksichtigt werden. Die Ursache scheint darin zu liegen, dass die technologischen Entwicklungen in Europa von relativ homogenen Teams aus Männern mittleren Alters dominiert werden, was dazu führt, dass vor allem die Bedürfnisse und Anforderungen dieser Gruppe berücksichtigt werden“, konstatierten Dorothea Erharter und Elka Xharo 2014 (3).
Vielfalt an den Tischen ist also gefragt, um innovativ, effizient und bedarfsgerecht zu produzieren. Die Wissenschaftlerinnen fanden beispielsweise heraus, dass Senior:innen mehr Gestaltungsfehler bei der Neuentwicklung von Produkten entdeckten als alle anderen Gruppen – wieso sollte man das nicht nutzen? Unternehmens und Verbandsverantwortliche tun also gut daran, die Fähigkeiten, Talente und Kenntnisse ihrer Belegschaft kompetenz- und ressourcengerecht zu nutzen, und das über alle Diversitätsdimensionen. Viel hat sich seither leider nicht geändert. Pointiert mit den Worten des Allbright-Berichts zu sprechen nutzt es familiengeführten Unternehmen, die langfristig am Markt bestehen möchten, nichts, fortwährend „mehr Stefans als Frauen einzustellen“. Die Vorteile der Vielfalt sind mittlerweile weithin bekannt und anerkannt. Ramona Kaden, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Industrie Kommunikation e. V. (bvik), ist aus langjähriger Erfahrung in Personalverantwortung eines Konzerns überzeugt: „Diversität und Chancengleichheit für alle müssen essenzieller Bestandteil jeder Führungsstrategie sein und vom obersten Management nicht nur getragen, sondern gelebt und vorgelebt werden. Dabei ist vor allem Mitarbeiterbindung durch Förderung individueller Stärken aus meiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg. Ein Markenversprechen (auch im Sinne von Employer Branding) hat nur dann Bestand, wenn es durch die Belegschaft authentisch von innen nach außen getragen wird. Dies gilt gerade in Zeiten, in denen Social Media auch im B2B immer wichtiger wird.“ Diese Vielfalt wird deshalb auch im bvik gelebt und effektiv zur Weiterentwicklung des Verbands genutzt.
Das Genie beherrscht die Vielfalt – und gewinnt
Diverse Teams aufzubauen allein reicht aber noch lange nicht für einen Innovationsschub. Verantwortliche reagieren verstärkt auf die neue Führungsherausforderung, indem sie ein professionelles Diversity Management in ihren HR-Strukturen implementieren. Damit einher geht ein tiefgreifender Change-Prozess quer durch alle Abteilungen und Hierarchiestufen. Das enge und von strategischer Hand gesteuerte Zusammenspiel zwischen HR, Marketing, Unternehmenskommunikation, Produktentwicklung, IT und Sales ist für ein erfolgreiches Miteinander von „bunten“, dynamischen Teams essenziell. Arbeitgeber sind gefordert, Erziehungszeiten und Pflege in der Familie flexibel zu berücksichtigen. Teilzeit, Job-Sharing, Gesundheitsprogramme, Inklusion, Remote Work und spezifische Weiterbildungsangebote sind das, was zu einem umfassenden Diversity Management ebenso gehört wie das grundsätzliche Commitment zur Förderung von Frauen besonders im Technologieumfeld. Der Fachkräftemangel und demografische Wandel führen zu einer Machtverschiebung und die Unternehmen wie Verbände müssen ihre Werte im Bereich Diversity nach außen kommunizieren. HR-Abteilungen reagieren auf den Konkurrenzdruck, wie eine Studie der PageGroup Deutschland von 2021 zeigt. Die Anzahl der Unternehmen, die sich mit Diversity beschäftigen, ist seit 2015 massiv gestiegen. Waren dies bei der Umfrage 2015 noch 45 Prozent, gab es ein rapides Wachstum zur zweiten Studie 2018 (63 Prozent) und nochmals eine Steigerung 2021 (69 Prozent) (4). Dass sich das Umdenken und Umsteuern auszahlt, belegen die Zahlen eindrucksvoll. So geben die Befragten vermehrt an, eine spannendere Arbeitsatmosphäre, gesteigerte Mitarbeiterzufriedenheit und höhere Innovationskraft in gemischten Teams wahrzunehmen.
Auch in der Außenwahrnehmung ergaben sich signifikante Verbesserungen: Von den Befragten wurden erneut ein attraktiveres Employer Branding und ein verbessertes Unternehmensimage aufgrund des Einsatzes von Diversity Management festgestellt.
Für die Unternehmen bedeutet dies, sich auf die Vielfalt der Beschäftigten einzustellen sowie eine produktive und wertschätzende Atmosphäre zu schaffen. Das sollten wir uns auch als Verbände zu Herzen nehmen, mit gutem Beispiel unseren Branchen voran gehen und dem Wandel auch in den eigenen Reihen Rechnung tragen.
new work heißt new leadership
Diversity, Flexibilisierung der Arbeit, Inklusion, mentale Gesundheit, neue Kommunikationswege und ein massiver Generationenwechsel bedingen große Change-Prozesse, die gewachsene Traditionsunternehmen herausfordern – besonders auch in Konkurrenz zu agilen Innovationsschmieden. Ulrich Huggenberger, Founder & CEO des Software-Spezialisten Xitaso GmbH, sieht „New Work“ als ein Kernthema seiner Strategie. „Mit der Gründung der XITASO GmbH war für mich wichtig, ein Unternehmen mit einer anderen Art der Zusammenarbeit zu erschaffen, die auf Kooperation, Werten, Respekt und Sinnstiftung basiert. Wir leben dies mit einer offenen Fehlerkultur und vertreten die Philosophie Sense & Adapt statt Command & Control.“ Der Erfolg gibt ihm recht: Das Wachstum des Augsburger Start-ups ist seit über zehn Jahren ungebrochen.
Kommunikation in der Königsklasse
Wie immer in Phasen des Umbruchs und der Neuorientierung kommt der professionellen internen und externen Kommunikation eine tragende Rolle zu. Für eine starke Arbeitgebermarke, die Menschen im eigenen Haus und auf Kundenseite gleichermaßen begeistern kann, ist die authentische Markenbotschaft auf allen Kanälen ein wesentlicher Baustein. Die Bosch Rexroth AG, Mitglied im bvik, hat dies erkannt und kann mit ihrem „Mover-Programm“ bereits aus wertvollen Erfahrungen schöpfen. „However, more diversity doesn’t automatically translate into better performance”, erläutert Artur Wirt, Project Director for Industrial Hydraulics, Bosch Rexroth AG, im Kontext der Rexroth-Web-Präsenz How Diversity forms Innovation (5). “Managing that diversity requires a different set of leadership behaviours. Our experience is that diversity makes a significant contribution to the personal and professional growth of each team member. Instead of hiding the differences, we’re highlighting them. This might be uncomfortable at the beginning. Diversity can provoke conflict or additional and longer discussions, but this is how the team comes to more robust conclusions, considering unusual perspectives. It pays off.” Gerade junge Talente sind die besten Fürsprecher für ein Unternehmen, wenn sie im Kontext ihrer eigenen Überzeugungen authentisch für die Unternehmensmarke oder den Verband sprechen. Andrea Alberti, Product Manager & Product Owner bei Bosch Rexroth, zieht als Corporate Influencer Sympathien auf sich – intern wie extern. Auf diesem Level zu kommunizieren, erfordert viel Entwicklungsleistung in der Markenstrategie, Mut und ein geändertes Mindset.
Fans und Likes für die Marke – Employee Advocacy im B2B
Im Rahmen einer neuen Kommunikationsstrategie, die auf Steigerung der Reichweite, Markenstärkung und Vertriebsoptimierung abzielt, arbeiten Kommunikationsexpert:innen zunehmend auch im B2B-Umfeld an sog. „Employee-Advocacy- Programmen“. Mitarbeitende werden gezielt in die Social-Media-Aktivitäten einbezogen und wie bei Bosch Rexroth für Themen wie Diversity zu authentischen Corporate Influencern entwickelt. Der Effekt: Die Marke wird durch soziale Werte positiv aufgeladen, die Reichweite der Organisation vervielfacht sich, das Vertrauen in die Marke wird gestärkt, beim Recruiting sind Mitarbeitende die besten Fürsprecher, und die Entwicklung von „Thought Leaders“ im Technologieumfeld wirkt sich positiv auf das Markenimage aus. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie von Hootsuite, wonach 84 Prozent der Unternehmen mit einer ausgereiften Social-Media-Strategie von positiven Effekten auf die Brand Health berichten (6).
Besonders relevant wird dies im sogenannten War for Talents, denn die jüngeren Generationen müssen für Marken, ihre Werte, Botschaften und Inhalte erst gewonnen werden. Sie auf den Kanälen zu erreichen, auf welchen sie sich ohnehin tummeln, ist hier die Kunst. Die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen und Verbände positiver wahrgenommen werden, deren Führungskräfte auf Social Media posten, ist laut der Hootsuite-Studie um 23 Prozent höher, mehr als 50 Prozent der Neueinstellungen lassen sich auf Mitarbeiterempfehlungen zurückführen. Das spricht für sich und lässt sich auch auf die Verbandswelt anwenden, denn Nachwuchskräfte von der Attraktivität von Verbänden zu überzeugen ist die erste Hürde!
Für Marketer und Content-Strategen wird dies jedoch zu einer immer größeren Herausforderung, da die Kanäle und Formate einer extremen Dynamik unterworfen sind. Der Wissenstransfer innerhalb der B2B-Branche mit ihren sehr komplexen Customer Journeys wird daher immer wichtiger, dies zeigt sich auch bei vielen Gesprächen mit den Mitgliedern des bvik und im erfolgreichen Academy-Programm des Verbands B2B-Kompetenz-Werkstatt.
Diversity im B2B – es bleibt viel zu tun
Ein aktuelles Meinungsbild des bvik im Juni 2022 belegt, dass auch die Verbands- Community dem Thema Diversity als Innovationstreiber für die Zukunft eine hohe Bedeutung beimisst. Auf einer Skala von 1 (keine Bedeutung) bis 6 (essenziell) erreichte der Wert bei Frauen wie Männern gleichermaßen einen durchschnittlichen Wert von knapp 4 (sehr wichtig). Interessanterweise sahen dies besonders Menschen mittleren und höheren Alters einhellig so. Weniger als 25 Prozent der Befragten gab jedoch an, dass im eigenen Unternehmen Programme zur gezielten Frauenförderung angeboten werden, bei rund 20 Prozent gibt es diese nur vereinzelt und auf gezielte Nachfrage. Dies ist insofern bedenklich, da dem Bericht „Women in Business and Management, The business case for change“ (7) zufolge die positiven Effekte geschlechtlicher Vielfalt erst dann einsetzen, wenn 30 Prozent der Führungsrollen von Frauen besetzt sind. Fast 60 Prozent aller Unternehmen lägen jedoch unterhalb dieser Quote und ließen sich damit die positiven Effekte entgehen. Die (nicht repräsentativen) Zahlen der bvik-Kurzbefragung, die sich zu jeweils ca. 50 Prozent aus Industrieunternehmen und B2B-Dienstleistern zusammensetzt, zeigen immerhin, dass nur bei etwa 40 Prozent der befragten Unternehmen der Frauenanteil unter 30 Prozent liegt.
Fazit: Der Druck durch die Branchen muss jetzt kommen
Chancengleichheit in jeder Hinsicht ist ein Gewinn für alle Beteiligten. Es ist höchste Zeit, von den Pionieren auf dem Markt zu lernen, alte Zöpfe abzuschneiden, neu zu denken, mutig innovative Konzepte zu entwickeln, Mitarbeitenden jedweder Couleur Wertschätzung, Vertrauen und Entwicklungschancen angedeihen zu lassen, authentisch und transparent zu kommunizieren, Diversity von oben nach unten und quer durch alle Abteilungen zu leben und nicht bei sperrigen Themen wie einer gendergerechten Sprache bereits auszusteigen. So umstritten Gendering auf sprachlicher Ebene sein mag, es ist wichtig, sich mit den Hintergründen dazu auseinanderzusetzen und im Sinne eines glaubwürdigen Markenauftritts konsistent und wertschätzend zu kommunizieren. Wie viele Regeln man hier vorgeben möchte oder nicht, ist am Ende nicht entscheidend. Viel wichtiger ist die klare Botschaft: Vielfalt ist die Basis des Erfolges. Diese professionell zu steuern und seinen Stakeholdern – Kunden wie Belegschaft – glaubhaft zu vermitteln, ist der Prüfstein, der über den Erfolg in Zukunft entscheiden wird. In diesem Sinne – packen wir es an. Es gibt keine Zeit zu verlieren! Als Verbände haben wir die Möglichkeit des Agenda Settings für unsere Branchen. Unser Ziel ist es, unsere Mitglieder und Interessenten für wichtige Themen wie Diversity im Kontext von Innovation und Kommunikation zu sensibilisieren und ihnen Best Practices aufzuzeigen.
Quellen:
(1) Women in Business and Management, The business case for change (Mai, 2019, Bureau for Employers’ Activities (ACT/EMP), International Labour Office
(2) ALLBRIGHT BERICHT / MAI 2022 – STILLSTAND Familienunternehmen holen keine Frauen in die Führung
(3) Nicola Marsden und Ute Kempf (Hrsg.), Gender-UseIT. HCI, Usability und UX unter Gendergesichtspunkten, De Gruyter Oldenbourg 2014
(4) DIVERSITY MANAGEMENT STUDIE 2021, Page Group
(5) https://www.boschrexroth.com/en/dc/how-diversity-shapes-innovation/
(6) Social Media Trends 2022, Hootsuite
(7) Vgl. Fußnote 1