Warum sind Mythen und Klischees eigentlich unsterblich? Wir Menschen leben von Geschichten und halten die Sagen für wahre Begebenheiten. Mit eben diesen „veralteten“ Weisheiten müssen auch Verbände gelegentlich leben, wenn es um die Attraktivität des Verbands als Arbeitgeber geht. Organisationen sind längst nicht mehr langweilig, bürokratisch und antiquiert. Sie sind modern, innovativ und attraktiv – auch als Arbeitgeber.
Von wegen Selbstverwirklichung im Job. Gebt es zu: Arbeit nervt! So titelte vor einigen Monaten das Manager Magazin und stellte das Arbeitsleben in den Mittelpunkt einer Diskussion – einerseits aus dem Blickwinkel Arbeitgeber und Führungskräfte, andererseits aus der Perspektive Mitarbeiter. In Zeiten, in denen der Arbeitskräftemangel still und hinterlistig wie eine Krake durch alle Branchen schleicht und bei Unternehmen, Banken, Medien, Verbänden und Organisationen auf Beutetour geht, sollten sich Verbandsverantwortliche die Frage stellen:
Sind Verbände heute noch attraktive Arbeitgeber?
Die Frage ist allzu sehr berechtigt und relevant für jeden, der als Verantwortlicher seine Organisation in die Zukunft steuern möchte. Denn Antworten und Konzepte auf diese Frage dürfen Mitglieder erwarten.
Stellt man die Frage „Sind Verbände attraktive Arbeitgeber?“, sind die Antworten häufig geprägt von oberflächlichen Kommentaren, oftmals von Mythen und Klischees. „Meist spießig und verstaubt“ ist zuweilen der Tenor von Befragungen. Fragt man nach einem Urteil, schneiden die Organisationen bei der 50-Plus-Generation am besten ab. Da ist von „seriös, vertrauenswürdig, zuverlässig, ernsthaft, rechtschaffen oder glaubwürdig“ die Rede. Häufig werden Verbände als konstante und sichere Arbeitgeber angesehen mit geringer Mitarbeiter-Fluktuation. Was so viel bedeutet wie: „Die nächsten 20, 30 Jahre hat ein Arbeitsuchender einen sicheren und bewährten Arbeitsplatz.“ Oder anders ausgedrückt: „Mach’s Dir bequem und arbeite Nine To five sukzessive deine Aufgaben ab.“ Eine Arbeitsplatzbeschreibung, die nicht jeden Arbeitnehmer befriedigt oder in seiner Arbeitswelt erfüllt.
Fragt man hingegen zukünftige Arbeitnehmer und Berufstätige im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, dann treten oft Aussagen in den Vordergrund wie etwa „langweilig, bürokratisch, kaum Karriere- und Aufstiegschancen und wenig herausfordernd“. Und: Hier und da macht „ein Vergleich mit öffentlichen Verwaltungen“ die Runde.
Zudem werden negative Assoziationen in der Arbeitswelt mit der Verbandsbranche verbunden: langweilig, konservativ, streng hierarchisch, unflexibel, unmodern, eher verwaltungsorientiert, wenig zukunftsorientiert, geringe Karriereaussichten, behäbig.
Wenn diese Attribute wahr wären, dann hätten die rund 15.000 haupt- und nebenamtlich geführten Verbände in Deutschland kaum Mitarbeiter oder nur die, die laut ihrem eigenen Lebenslauf ihre berufliche Karriere eher verwalten, als selbst aktiv in die Zukunft zu steuern. Denn die beschriebenen Klischees motivieren kaum einen Arbeitnehmer, sich bei Verbänden zu bewerben. Und wenn das so wäre, wie die Meinungsklischees beschreiben, könnten die Verbände nicht die engagierte, dynamisch-kreative Leistung und Performance bieten, wie sie es tun.
Ob Klischees, Mythen oder nur Behauptungen – die Aussagen erfahren dann besonders kritische Bedeutung, wenn sie sich verstetigen, scheinbar in der öffentlichen Meinung nicht zu eliminieren sind und unreflektiert für alle Verbände in Deutschland als gegeben erachtet werden. Daraus könnte ein Nachwuchsproblem entstehen. Denn allgemein zu beobachtende gesellschaftliche Veränderungen in Bezug auf Wertevorstellungen, und die sind unstrittig, haben ihren Einfluss auf die Einstellung zur Arbeit. Es herrschen hedonistische Lebensformen vor; Das stärkere Bewusstsein für den „Genuss des Lebens“ geht einher mit einer sinkenden Aufstiegs- und Leistungsmotivation. Die Digital Natives, wie sie auch genannt werden, legen Wert auf Sinnhaftigkeit, Transparenz und Nachhaltigkeit bei der Arbeit. Eine persönliche Entfaltung im und durch ihren Job ist ihnen wichtiger als Karriere. Leistung und Lebensgenuss gehören untrennbar zusammen. Die Generation Y geht weniger Kompromisse ein als die vorherige Generation. Das Phänomen der Wertevorstellungen der Generationen Y und Z spielt bei Fragen der Attraktivität von Arbeitgebern zunehmend eine stärkere Rolle.
Natürlich hat jede Branche ihre eigenen Stärken und Schwächen. Und natürlich haben Verbände eigene Arbeitsweisen. Aber unterschiedliche Wertevorstellungen und -philosophien sind eine Stärke, keine Schwäche. Jede Branche hat unterschiedliche Werte, individuelle Arbeitsweisen und eine eigene Arbeitssozialisation innerhalb der eigenen Struktur. Das ist gut so. Denn: Stellen Sie sich vor, das bei Start-up-Unternehmen übliche kreative, ideenreiche und innovative „Chaos“ würde man einer Rechtsanwaltskanzlei überstülpen oder umgekehrt. Nicht auszudenken.
Die Einschätzungen der jungen Generation, dass die traditionellen Arbeitswelten in Verbänden antiquiert seien, Verbände als Arbeitgeber langweilig sind und dass sie wie eine Behörde agieren, sind fast ausschließlich Mythen. Zweifelsohne gibt es den ein oder anderen Verband, den Außenstehende als Verwaltungsapparat von zahlenden Mitgliedern ansehen. Und es gibt Organisationen, in denen nach Schema F gehandelt wird. Tenor: „Das haben wir schon immer so gemacht.“
Ähnliche Strukturen lassen sich jederzeit und beliebig oft auch in der freien Wirtschaft und in Unternehmen finden, die sich täglich den Gesetzen der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs stellen müssen. Genau dieses Gesetz der Wirtschaftlichkeit zwingt Unternehmen wie auch Interessenorganisationen dazu, selbstreinigende Veränderungen in die Wege zu leiten. Changeprozesse, neue Organisationsformen oder moderne Strukturen lauteten die jüngsten Entwicklungen in Verbänden. Viele Organisationen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu modernen Dienstleistern entwickelt. Der größte Teil der Verbände bietet professionellen und umfangreichen Service an. Die jeweiligen Tochtergesellschaften sorgen beispielsweise als Verlage für Wissensvermittlung in Form von Broschüren, Informationsdiensten bis hin zu modernsten Magazinen. Oder sie avancieren zu „Filmemachern“ und produzieren etwa Imagefilme über ihre Branche (www.vdi.de). Denn in Deutschland sind Ingenieure „Mangelware“. So engagiert sich der mit gut 155.000 Mitgliedern starke Verband für die Nachwuchsförderung bereits in der Schule. Der Caravaning Industrie Verband ging beispielsweise unter die Werbefilmer und kurbelte mit anmutigen Werbespots erfolgreich den Verkauf und Umsatz seiner Mitglieder an (www.civd.de).
Verbände sind heute in aller Regel modern aufgestellt. Die Newsletter gehen täglich oder wöchentlich raus, es wird getwittert, was das Zeug hält, auch andere Social-Media-Dienste werden aktiv genutzt. Webinare, Seminare und Kongresse sind an der Tagesordnung. Verbände bieten moderne Arbeitsplätze mit umfassenden Services und Beratung, denn ihre Mitglieder sind anspruchsvoller geworden denn je. Und sie sind ein spannender Arbeitgeber. Nicht nur die traditionellen Positionen für die Geschäftsführungen sind Teil ihrer Arbeitsplatzangebote, sondern eingestellt werden auch Eventmanager, Social-Media-Manager, PR-Berater oder Experten im Finanzwesen und Controlling. Dazu kommen natürlich auch traditionelle Arbeitsplätze wie die der Juristen, Volkswirte oder Wirtschaftswissenschaftler. Die Arbeitsplatzvielfalt ist ganz und gar vergleichbar mit einem mittelständischen Unternehmen.
Es finden sich zahlreiche Stimmen, die den Klischees vehement widersprechen. Schon allein deshalb, weil ihre tägliche Arbeit in Verbänden sie begeistert. Eine im Verband tätige Veranstaltungskauffrau führt fast wöchentlich Veranstaltungen oder Events durch und erklärt: „Vom Kongress bis zur kleinen Tagung kann ich überall meine Ideen einfließen lassen und auch neue Formate entwickeln.“ In den höchsten Tönen lobt eine Assistentin der Geschäftsführung ihren verantwortungsvollen Beruf: „Bei mir laufen alle Fäden zusammen und jeder Tag bringt neue Aufgaben und Herausforderungen, die mir viel Spaß und Freude bereiten.“
Nur mit modernen und inhaltlich herausfordernden Arbeitsplätzen können Verbände in der Zukunft punkten. Das haben die Interessenvertretungen vor gut 15 Jahren erkannt und sich modern, prozess- und leistungsorientiert sowie inhaltlich breit aufgestellt – jenseits aller Klischees. In der Vergangenheit zeichnete sich ein Verband durch ein fundiertes tief gehendes Branchenwissen und eine umfassende juristische Expertise aus. Dementsprechend waren auch die Positionen und Berufsfelder definiert. Heute werden von Verbänden weiterführende Aufgaben und Lösungen erwartet, die nur durch eine proaktive und dienstleistungsorientierte Verbandsstruktur ermöglicht werden.
Verbände sind aktuell im Kampf um Talente gut aufgestellt. Sie gehen den Weg nach vorne und lassen sich vom Traditionellen nicht beirren. Aktuelle Stellenangebote demonstrieren die Modernität der Interessenvertretungen. Sie punkten nicht nur mit marketingähnlichen Attributen und Versprechungen, sondern sie bieten modernste Arbeitsplätze, die Mitarbeitern Freiheiten und Selbstverwirklichung in ihren Arbeitsfeldern ermöglichen. Sie bieten spannende, fordernde Aufgaben und motivieren ihre Mitarbeiter. Verbände haben es größtenteils verstanden, sich als attraktive Arbeitgeber aufzustellen – auch für die nachfolgenden Generationen. Sicher ist, dass sich diese Begeisterung mittelfristig durchsetzen und an den Klischees nagen wird. Die Verbände arbeiten daran. Denn nur die Klischees halten an alten
Mythen fest. (MJ)